Rede zur Ausstellung · CKB+5

Hans Brinkmann · Vernissage · 23. Februar 2017

IMG_7889Meine Damen und Herren,
der amerikanische Philosoph und Kunstkritiker Arthur C. Danto verfasste vor nicht allzu langer Zeit ein Buch über die Künste in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das auf den ersten Blick eine Kuriosität enthält.

Der Name Joseph Beuys, uns allen geläufig, in Amerika wohl etwas anders verstanden als hier, taucht dort nämlich allein unter der Kapitelüberschrift „Feminstische Kunst“ auf. Das verwundert, gelinde gesagt. Finde ich doch nirgends im Gedächtnis, und wenn ich noch so krame, ein Kunstwerk von Beuys, das ich als ausgesprochen feministisch bezeichnen könnte. Es gibt auch keine entsprechende Äußerung von ihm, die über das Zeitübliche hinausginge. Gewiss, er war Gründungsmitglied der Grünen – aber was beweisst das? Wie kam der Autor bloß auf die Idee?

Was Danto nicht meinte, war feministische Propagandakunst, also Polit-Kitsch. Und auch nicht die beliebte Methode, alle Kunst, die von Frauen gemacht wurde und wird, feministisch zu nennen. So als wäre – im Gegenzug – alle Kunst, die von Männern gemacht wird, aus tiefgefrorenem Testosteron gemeißelt.

Worauf er stattdessen hinaus wollte, war eine – seiner Meinung nach durch die Emanzipationsbewegungen der sechziger bis achtziger Jahre beförderte – neue Ästhetik, die mehr Wert auf das Prozessuale, auf das Machen von Kunst legt, als auf den großen Wurf, die sich mit neuen, bisher eher missachteten Materialien und Tätigkeiten befasst, mithin selbstverständlich auch einen anderen Blick auf die Welt wirft. Seitdem kommt der Alltag, kommen seine Strukturen (etwa: Wellen, Faltungen, Reihungen, Häufungen, Ballungen, Verkettungen, Maschen, Streuungen, Pflanzungen, Knäuel und Knoten usw.) und Momente (zum Beispiel der Spannungslosigkeit oder der Routine) zu ihrem Recht in der künstlerischen Darstellung. Da ist was dran. Das hat unsere Wahrnehmung nachhaltig geprägt. Obwohl kaum einer noch dran denkt. Die Kunst hat sich verändert.

So auch die Frage nach dem Platz der Kunst im Alltag der Gesellschaft. Vor noch nicht allzu langer Zeit, reichte es aus, dass dem Künstler herzlich egal war, über welchem Sofa seine Kunst hing. Der Schnurz-Piep-Egalismus gegenüber allem Drumherum galt gar als Ausweis künstlerischer Unbeugsamkeit. Heute fragt man immer öfter nach dem Kontext. Kunst bringt sich ein. Auf die eine oder andere Weise. In eine schon von anderer Kunst vorgeprägte oder aber als deutlich kunstleer empfundene konkrete Umwelt.

Das ist mir durch den Kopf gegangen, als ich den Künstlern beim Aufbauen zusah.
Jetzt also zu denen selbst – in alphabetischer Reihenfolge der Vornamen.

slide_7683Anke Neumann wuchs in Karl-Marx-Stadt auf, einer Stadt, die uns nicht ganz unbekannt ist. In der lebt sie heute wieder. Schon früh begann sie zu zeichnen und – interessiert nicht nur an den Formen der Natur, sondern auch an technischen Vorgängen – zu basteln. Es folgten eine Ausbildung zum Facharbeiter für Textiltechnik von 1986 bis 1989 sowie Praktika in diversen Handwerks- und Technikbetrieben in Berlin, schließlich ein Studium des Flächen- und Textildesigns an der Weißensee Kunsthochschule Berlin von 1998 bis 2003. Ein Kurs zur Papierherstellung gab den ersten Anstoß zu eigenen Papierexperimenten. Bereits ihre Diplomarbeit trug den Titel LICHTPAPIER. Anke Neumann hat seitdem an vielen Orten, auch international, gearbeitet. Wo überall, darüber kann sie, sie ist anwesend, besser Auskunft geben als ich, der ich lieber über Licht und Papier rede. Die Künstlerin scheint gleichermaßen fasziniert von der Anmutung des fertigen Materials und seiner Möglichkeiten wie vom Prozess der Herstellung. Das Objekt mit dem Titel „Versiebt“ (im Kellerraum) spricht davon.

Unter ein Sieb, mithilfe dessen der Brei, aus dem Papier entstehen soll, geklärt wird, sind verunglückten Oblaten ähnelnde Papierscheiben, die aus dem fest gewordenen Klärschlamm, dem Bodensatz im Sieb, bestehen, mittels Lichtleitfasern aufgehängt. Sie bilden nicht nur eine interessante Figur für den so entstandenen Leuchtkörper, sondern enthalten auch, wenngleich sich das nicht aufdrängt, die Rhythmik der kontinuierlichen Arbeit und deren gleichzeitige Abhängigkeit von Zufällen.

Ähnlich wird in anderen Arbeiten mit Naturformen gespielt oder mit Kindergekritzel in „Light Scribble“ (über der Treppe). Das Konzept heißt: „Papier im Raum“, was viele Möglichkeiten der Aufhängung, Aufstellung und wandgestaltung einschließt. Einer ihrer „Kokons“ (oder: Cococoons) ist hier gerade nicht zu sehen, aber da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man geht ins Internet auf www.lichtpapier.de oder man versucht sich die Dinger auszudenken, bis mal eins tatsächlich vor einem erscheint. –

Anke Neumanns Kunstwerke drücken weniger Stimmungen aus, als dass sie überhaupt erst welche schaffen. Das Papier wird dabei selbst zum Leuchtkörper, zum Lichtleiter, der von den Lichtleitfasern wie von Adern durchzogen und mit Licht versorgt wird. Allein diese sichtbare Metapher lässt an etwas Natürliches, Gewachsenes denken, noch ehe der Begriff „Gewächs“ durch andere Assoziationen oder Titelgebung in den Sinn kommt. Freilich steht die künstlerische Arbeit dabei immer in ahrter Konkurrenz zur bloßen Faszination der technischen Mittel. Das ist die Herausforderung.

geometrie-8er-e-klGemälde von Cornelia Zabinski sahen wir kürzlich im Kunstverein „Laterne“. Hier im Projektraum stellt sich die Malerin thematisch weniger umfasssend vor, sondern konzentriert sich ausschließlich auf ihre Wald-Bilder, inklusive des Zyklus „Geometrie des Waldes“. Es sei – für alle, die die frühere Ausstellung nicht gesehen haben – angemerkt: Sie kann nicht nur Bäume. – Die Beschränkung auf beinahe schon abstraktes Arbeiten zeigt aber sehr schön und ohne Ablenkung ihre Stärken und die Reichweite der Ausdrucksmittel. Der Umschlag des farbstarken Nebeneinander in Verräumlichung ist ein altes, immer wieder faszinierendes Spiel. Ich denke, die Wald-Bilder sind, bei aller persönlichen Neigung zum Naturerlebnis, eine Phase der Selbsterforschung als Malerin, weniger als Privatperson. Es geht in diesen Arbeiten um die Suche nach dem eigenen Licht, dem unverwechselbaren Klang und Raum einer Malerei, die individuell sein will und mutig. Das ist, wenn es dann endlich gelungen ist, auch ein Triumph.

Wenn Cornelia Zabinski davon spricht, sie habe mit den Wald-Bildern den Hintergrund zum Thema machen wollen, so bedeutet das vom Ergebnis her gesehen, dass der Betrachter oder die Malerin sich selbst als Vordergrund begreifen können, der sich umwendet, hinter sich blickt. Und dort ist eben nicht nur Beiwerk, schon gar nicht Ornament, dort wird es interessant, ist Grund, Raum, vielleicht Herkunft.

Sie ist in Frankenberg geboren und biografisch eng, könnte man sagen, mit der Textilherstellung verwoben. Über die Abendschule, aber auch Museumsbesuche, Gespräche mit Kollegen, Freundschaften und viel Eigeninitiative hat sie ihr Handwerkszeug erlernt. Selbst spricht sie ihrer früheren Arbeit in der Weberei einen Einfluss auf die Malerei zu. Und ja: „Bildteppich“ ist ein Gedanke, der sich aufdrängt. Der Erzählung wegen, der Stimmung wegen.

Was entsteht, ist ein ausbalanciertes Muster vieler einzelner Farbflächen und Gedanken. Die Betonung des Geometrischen, des Ordnungssinns verweist auf die Fülle der Eindrücke, die es zusammenzuschließen gilt. Dies ist ja gewissermaßen eine Ausstellung unter Kollegen. Da scheint sie mir mit diesem Gesprächsangebot an der richtigen Stelle. (www.atelier-zabinski.de)

duarte_IMG_7691_kl Frances Schandera-Duarte ist hier nur mit drei Arbeiten vertreten, die aber den Stil ganz gut abbilden. Anregend für ihre Kunst sind sowohl das intensive Naturerlebnis, verbunden mit Beobachtungen an Blütenständen und Blumenwiesen, als auch ein offenbares Stoff-Interesse an Ausblühungen (Effloreszenzen, wie der Fachmann sagt) von Salzen oder anderen Mineralien an Mauern und Felswänden. Zwischen beiden Vorgängen in der Natur gibt es keinen direkten Zusammenhang, aber die Analogie ist augenfällig.

Was die Künstlerin jedoch vor allem will, ist der Ausdruck eines einzigen Gefühls in vielen Nuancen, die sich allesamt dieser Einheit unterordnen. Das hat, glaube ich, mit Einfühlung zu tun, aber auch mit dem Wunsch, die Fülle des Erlebten zugespitzt und doch nicht reduziert wiederzugeben.

Sie ist eine Künstlerin der Oberfläche. Ihre Bilder kokettieren nicht mit dem Geheimnis, vielmehr sind sie wie ein Geschenk überreicht und auf sofortige Wirkung aus. Reines Weiß als Hintergrund gibt den Figurationen etwas Zeichenhaftes. Sie schweben im Ungefähren, in einem unbenannten Space.

Das kann ein Himmel der Imagination sein, aber auch ein Präsentationsraum, ein so genannter White Cube. Selbst ein Jenseits wäre denkbar. Die Zeichen verweisen auf sich, auf ihre Präsenz ohne Bruch. Erst nach und nach werden Feinheiten sichtbar. Die Künstlerin malt, klebt, schichtet mit Ölstift und Farbe, Tusche, Gaze, Schutt und verschiedenen Papieren ihre Bilder. Sie schreckt vor Chaos und Zufälligkeit nicht zurück, weiß aber sie zu bändigen oder doch wenigstens in Maßen zu verteilen. Obwohl der Ansatz ein abstrakt- expressionistischer ist, geht weniger Aufregung oder gar Provokation, als vielmehr Ruhe und Harmonie von den Bildern aus. Die Einfachheit des Gefühls

Frances Schandera-Duarte ist in Mittweida geboren und studierte an der Fachhochschule für Angewandte Kunst in Schneeberg Textildesign. Nach kurzer Zeit als Dozentin in Kasachstan absolvierte sie ein Aufbaustudium an der HfBK Dresden, seit 2006 ist sie freischaffend als Künstlerin tätig. Sie lebt in Deutschland und Südafrika.

maibier_IMG_7700_klFrank Maibier kennt man als umtriebigen Projekt-Organisator und Galeristen im „Weltecho“. Wieso ist er eigentlich erst jetzt im Künstlerbund? Man kommt (egal wo) nicht an ihm vorbei, ohne eine Einladung zur aktuellen Ausstellung in zugesteckt zu kriegen. Als bildender Künstler begann er mit Papierarbeiten, die momentan im Morgner-Archiv zu sehen sind, auch neuere. Es folgten Objekte, Installationen, auch solche mit Klang und Geruch. Hauptsächlich arbeitet er minimalistisch mit Vielheiten, sei es, dass er etliche Jahrgangsmappen des neuen Deutschland aufstapelt, aus denen aufgrund der Eigenlast langsam die Luft rausgeht, worauf sie sich im Lauf der Ausstellung einige Millimeter abgesenkt haben werden – man kann auch nachhelfen, wenn man sich beispielsweise draufsetzt, aber Vorsicht, nicht umfallen – sei es, dass er so genannte Drallen (ballgroße Filzbandknoten) in strenger Ordnung an einer Wand installiert. Dazu gibt es ein rätselhaft in sich selbst verknotetes Gedicht als (in Anführungssstrichen) Erklärung, das, an der Heizung angebracht, also nicht die Erklärung der Heizung ist.

Die Installation wirft u. a. die Frage nach Masse, Ordnung und Individualität auf. Geht letztere wirklich in der Menge verloren oder hebt sie sich durch die Ordnung erst hervor? Könnte das Einzelne im Schwarm oder im Haufen oder auf sich allein gestellt wirklich besser herausragen? Wodurch? Was ist Struktur? Was ist Ordnung?

Ebenfalls im Keller zu sehen ist die Dokumentation des Kulturprojektes „InSicht“, das vor mehr als anderthalb Jahrzehnten die Innenstadt von Chemnitz mit Kunstobjekten im öffentlichen Raum besprenkelte. Einiges davon ist heute noch erhalten, allerdings nur wenig am damals eingenommenen Platz. Da das Video heute Abend auch ohne mich genügend Aufmerksamkeit und viele Kommentierungen finden wird, kann ich mich auf den Hinweis beschränken, dass die Musik auch von Frank Maibier stammt, aus einem seiner Musikprojekte mit Andreas Winkler unter dem Namen „Kanaluntersuchung“.

Ich könnte noch hinzufügen, dass er in Werneuchen geboren ist, gelernter Automechaniker und mehrmals für unterschiedliche Verdienste ausgezeichnet. Aber ach.

slide_7682Jan Kummer braucht man in Chemnitz genauso wenig vorzustellen. Er ist in Weimar geboren, übte verschiedene Tätigkeiten beim Fernsehen der DDR und in der Stadthalle Chemnitz aus. Bereits seit 1981 beschäftigte er sich intensiv mit Malerei, Grafik und Musik. Muss ich die AG Geige erwähnen? Das KIOX? Das ATOMINO? Um nur weniges zu nennen. Nein. Ich nutze stattdessen die Gelegenheit, einmal etwas über ihn zu sagen, was ich bisher noch nirgends geschrieben, aber auch noch nicht von anderen gelesen habe.

Eine der Quellen seiner Kunst ist natürlich die Bastelei von Kindern, wie sie von Kindergarten, Hort und Schule angeregt wird, um Geschenke zum Weihnachtsfest, Frauentag, Lehrertag, Geburtstag oder Republikgeburtstag herzustellen. Mit viel Liebe, Geduld und Spucke. Und die Mutti fragt beklommen: „Das ist so schön, wo hängen wir das jetzt bloß hin? Nein, da nicht.“ – Das Peinliche und das Liebevolle sind eng beieinander. Es gibt Schnittmengen. Das liegt in der Natur der Sache, um nicht zu sagen: des Menschen. Wie soll man das aushalten? Mit Liebe sind auch die Materialien für Kummers Obiekte und Eglomisierungen, diese Schabmalereien und Hinterglas-Collagen von Stanniol-, Bunt- u. Altpapieren, ausgewählt, die wir hier sehen. Das ist alles dem Trödel sehr nahe, und mit Erwerb und Bearbeitung dieser Dinge lässt sich viel Zeit vertrödeln. Kommt alles aus einer abgewerteten Vergangenheit und wird gehoben, als wär’s ein Schatz. Diese Materialien, zu denen auch noch die inhaltlichen Stoffe kommen: die Mythen des Alltags, die natürlich aus versunkenen Zeiten stammen, die wiederum selbst wie Kindheiten anmuten, – diese Materialien haben, weil von Anfang an mit einer gewissen Vernarrtheit angeschaut, eine Eigenmächtigkeit erhalten, sie verlangen Respekt und Stil im Umgang. Herablassung hat da keine Chance. Absichten verwirklichen sich nie völlig. Es gibt in Kummers Kunst immer etwas Verunglücktes, das nicht geplant werden kann. Zum Glück, möchte man sagen. Darauf hat es der Künstler abgesehen.

Dass er immer wieder Erinnerungsobjekte an gescheiterte Utopien herstellt, die im Nachhinein mit Ironie, niemals aber mit Häme betrachtet werden, passt in seine ästhetische Strategie.

Gedankensprung: Jan Kummer ist einer der wenigen Künstler, beinahe der einzige, auf dessen Bildern heute noch Arbeiter bei der Arbeit zu sehen sind. Die meisten Maler hierzulande denken ja: Hammer früher nich gemalt – und wenn doch, dann immer nur ganz ungern, mach mer heute nich mehr. – Jan Kummer erinnert dabei nachsichtig und wie gesagt ironisch an einen Arbeitsbegriff und eine Arbeitsauffassung, die sich vom Arbeitsbegriff – sagen wir mal – der Agenda 2010 und heutiger Arbeitsmoral sehr deutlich unterscheidet. Gleichzeitig ruft er kuriose, aber bezeichnende Momente auf, die die ostdeutsche Mentalität bis heute geprägt haben. Beispielsweise die Faszination durch Wunder der Technik und Wunder der Natur, die durch Urania-Vorträge und Kosmonautenbegeisterung gepusht wurden. Der Westen erlebte derweil sein Wirtschaftswunder und – wer immer fleißig Guido Knopp geschaut hat, wird‘s wissen – Wunder über Wunder seit dem Wunder von Bern. Das ist die Geschichte der BRD. Der Osten also wunderte sich über Chemie und Physik, über Kernkraft und Kybernetik. Fast, ich sage: fast … schließt sich hier der Kreis. Oder sagen wir: die Runde. Mit Anke Neumanns Lichtleitern, LED-Projektoren und Lichtpapieren hatte ich ja begonnen. Auch da die Faszination der Technik; man kann kaum die Finger lassen von dem, was leuchtet.

Ich wünsche der Ausstellung Erfolg, Ihnen allen beim Betrachten vielleicht die eine oder andere Anregung, uns noch die eine oder andre Diskussion und weiterhin einen schönen Abend. Ich danke für die Aufmerksamkeit.