ZUGABE · Dieter Netzker (*1931 – †2000)

8. September – 10. November 2017

Das Kino war ihm in jungen Jahren wohl ein in vieler Hinsicht verführerisches Medium: Bewegte Bilder, Stil- und Genrevielfalt, Metaphern aller Art, Internationalität und Sprachen … Wenn man einen Steinwurf weit weg von der „Weißen Wand“ an der Martinstraße wohnt, nahe der Städtischen Brauseanstalt in einem weithin proletarischen Viertel, wenn dann der große „Europa-Filmpalast“ oben auf dem Sonnenberg verlockt, spiegelt sich das bald in den Lehrlingsjahren wider: Dieter Netzker wird 1946 Reklamemaler bei Hommola (packt hart und unermüdlich zu), wechselt 1950 mit Farbbüchsen und Pinsel zum „Sovexportfilm“ und bleibt dann bis 1965 im volkseigenen Kinoatelier, sich stets um respektable Lehrer wie Rudi Gru- ner oder Hermann Gabler scharend. Bodenständige Maler mit tiefer Lebensweisheit, was in jenen Jahren zuoberst Fronterfahrung, Kriegsschicksal hieß. 1966 wurde Dieter Netzker Atelierleiter im „Europa“ für die Kinos des Kreises, als Großflächentechnik vom Optischen bis zur Kraftarbeit reichte. So wurde ihm die filigrane Grafik kostbar im Kontrast zum Grobstrich des Arbeitsalltags. Tempo stets bis Donnerstagabend, denn freitags war Programmwechsel überall. Da musste die Farbe trocken sein.

Meine engere Bekanntschaft mit Dieter Netzker setzte Anfang der 80er Jahre ein. Berliner Instanzen hatten für das „1. Nationale Spielfilmfestival der DDR 1980“ ein blamables Plakat in die Welt gesetzt – und wir wussten, es mit hiesigen Künstlern einfach besser zu können. Wenn man zu dieser Zeit ein spannendes Theaterplakat brauchte, kam Dieter Netzkers Adresse sofort in Betracht. Tatsächlich wurde bis 1990 eine regelmäßige Edition durchgehalten, wobei der Weg zu sensiblen Bildfindungen bis hin zum berstenden Ei mit vielfarbigen, perforierten Filmbändern des frühzeitig ersonnenen 90er Plakats gut entdeckbar ist. Das war ihm eine Lust in oft geistreich-grüblerisch-kontroversen Gesprächen.

Seine Atelierwohnung am Brühl war schon allein eine Spezialität. Endlich erworben nach Wohnadressen wie etwa an der Vettersstraße hatten wir stets ein Aufwärmthema zum Gespräch: Die erhoffte Holzstiege zum Dachgeschoss der Maisonettewohnung gemäß DDR-Look ließ Jahr um Jahr auf sich warten. Der Auftrag war ausgelöst, Zahlungs- not ausgeschlossen, aber es fand sich kein Material. Engpass Holz! Das Loch in Decke resp. Boden wurde erst nach Jahren geschlossen, der Handlauf kam noch später.

„Filmplakatdiskussionen“! gab es im Halbjahresrhythmus mit Berliner Gästen, oft genug in der Galerie oben, die Dieter Netzker schon als „Verkaufsgenossenschaft bildender Künstler“ mit Malern wie Will Schestak und Horst Löschner mit ins Laufen gebracht hatte. Nach der Wende saß er dann an Jubiläumskatalogen, die an den Start ab 1973 er- innerten.

Auf gutem Fuß wie mit seinen Zirkelfreunden war Netzker zugleich mit dem Kunstwissenschaftler Werner Ballarin, der auch selbst den Umgang mit unbequemen Kadern in seiner Zeit als Chef der Kunstsammlungen Karl-Marx-Stadt auszukosten hatte, als jenem dann ein karger, eng eingebundener Stuhl im Bezirkskunstzentrum zugewiesen wurde. Ballarin, der künstlerische Kopf der Neuen Sächsischen Galerie und der wieder gegründeten Kunsthütte Chemnitz e.V., gab zu Netzker wohl erwogene Zeilen in Druck: „Für die totale Verweigerungs- oder gar Null-Bock-Haltung der Jüngeren im letzten Jahrzehnt vor dem Mauerzusammenbruch war er hinwiederum denjenigen altersmäßig zugehörig, die – auch eine Art von Eingebundenheit – stets mit unbequemem Drängen jahrzehntelang für einen weniger dummen, effektiveren und menschlicheren Sozialismus eingetreten sind.“ Als der Katalog „Dieter Netzker – Kulturplakate“ zu seiner gleichnamigen Ausstellung pünktlich herauskam, kämpfte Dieter Netzker bereits mit dem Tod. Heute pflegt die Lebensgefährtin Margit Mothes die Konvolute Netzkers, und alljährlich begleitet sein eindringliches Memento „5. März 1945“ das Bürgergedenken an den unentrinnbaren Bombenangriff auf Chemnitz: „Dunkle Sonne, die einen Streifen Hoffnung trägt.“

Netzkers mutig-besonnenes Umweltposter von 1981 hat in der Zeit der Klimadiskussion aktuelle Werte. Holt es hervor! Haltet es hoch!

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi